Blog-Lebenszeichen

Der letzte Eintrag in diesem Blog datiert auf August 2022. Ich hatte diesen Blog nicht vergessen, und wir hatten hier ursprünglich auch mehr vor. Womit wir nicht ganz rechneten? Das Leben.

Überhaupt, das Leben. Als ich gestern mit einer lieben Freundin, die für mich wie eine Tante ist, sprach, erinnerte ich mich zurück. Was alles in den letzten sechs Jahren passiert ist.

Vor sechs Jahren befand ich mich in meiner persönlichen Hölle, gefangen in diesem Gefängnis, ohne Einsicht, ohne Hoffnung, ohne alles. Ich befand mich in einer schweren depressiven Phase, die Ehe war zerrüttet, ich funktionierte halbwegs noch, nur um des Kindes Willen. Zuhause gab es ständig Streit, schlaflose Nächte waren die Regel. Auf der Arbeit war ich zunehmend überfordert, machte Fehler, wurde öfter krank. Es war die Zeit, in denen ich mir vorstellte, am nächsten Tag von einem Auto überfahren zu werden. Das „Schlimmste“ daran? Dieser Gedanke brachte mir seinerzeit etwas Frieden. Heute weiß ich, dass ich passiv suizidal war. Der ursprüngliche Ruhewunsch, also der Wunsch nach Pause, hatte sich in einen passiven Todeswunsch weiterentwickelt. Ich war zu feige, mir selbst etwas anzutun, wünschte mir stattdessen, mir würde etwas passieren – wie eben zum Beispiel ein Autounfall. Dann wäre alles endlich vorbei. Ruhe und Stille. Nichts mehr spüren. Nicht mehr leiden.

Mein Kind war zu dieser Zeit der einzige Grund, überhaupt weiterzumachen. Für das Kind, dachte ich oft. Aber für mich? Für mich selbst gab es in diesem Leben nichts mehr.

Dann lernte ich Nina kennen.

Und mit Nina lernte ich weitere Menschen kennen, die in diesem Leben so wichtig werden sollten.

Vor fünf Jahren befand ich mich eines Abends in Würzburg auf einem Treffen. Vor der Kneipe stand ich, völlig verunsichert und ängstlich, und zog nervös an einer Zigarette. Kurz zuvor waren Nina und ich zusammengekommen, und im Nachhinein meine ich zu wissen, dass ich mich im Unterbewusstsein fragte, ob ich mich nicht vorschnell in diese Beziehung hineingestürzt habe, als Fluchtmechanismus. Ich wusste nicht, was aus Nina und mir werden, ob diese Beziehung denn überhaupt halten würde. Ich hatte meine jüngere Vergangenheit noch überhaupt nicht verarbeitet und war mit der Gegenwart überfordert.

Am besagten Abend stand ich nun draußen, leicht zitternd, und erzählte einer fremden Frau, die ich erst an diesem Tag kennengelernt hatte, meine Lebensgeschichte. Ich weiß bis heute nicht, warum ich mich da so geöffnet habe. Ich weiß nur: Es hat so sein sollen. Diese Fremde, die ich später Tante nennen sollte, hörte mir geduldig zu und lächelte dabei wissend. Sie sagte dann: „Ich weiß, du glaubst mir das jetzt nicht. Aber ich wette mit dir: Die nächste Zeit, vor allem mit der Scheidung, wird hässlich, das wird anstrengend, aber in fünf Jahren bist du übern Berg und mit vierzig bist du durch. Wir sprechen in fünf Jahren diesbezüglich, ja?“

Es war zeitweise hässlich. Es war zeitweise unerträglich schwer und anstrengend. Nicht nur die Scheidung und den damit verbundenen Kämpfen musste ich bestehen, gleichzeitig musste ich durch die Psychotherapie. Mit unheimlicher Unterstützung – und auch Arschtritten – von meiner Therapeutin, der Tante, der Schwiegermutter in spe und natürlich Nina raffte ich mich Schritt für Schritt auf, mit ordentlichen, wiederkehrenden Rückschlägen. In den letzten fünf Jahren habe ich

  • eine achtwöchige Akut-Therapie in einer psychosomatischen Klinik absolviert,
  • die Psychotherapie weiter fortgeführt,
  • den Scheidungsprozess bis zur Rechtskraft überstanden,
  • die Bindung zu meinen Eltern wieder hergestellt, die nun fester ist als je zuvor,
  • meine brachliegenden Finanzen neu sortiert und einen Plan aufgestellt, welchen ich bis heute folge,
  • ein Buch über meine Depression und dem Klinikaufenthalt geschrieben und veröffentlicht,
  • zweimal den Job gewechselt und es zum Leiter Recht & Geschäftsführer in einer mittelständischen Spezialkanzlei geschafft und
  • mich nicht nur beruflich, sondern vor allem privat und menschlich weiterentwickelt.

Gestern sagte die Tante zu mir: „Und? Jetzt stehen wir da, fünf Jahre später, und du bist übern Berg. Schau dich mal an. Wie du dich fühlst, wie du bist.“

Am allermeisten freut mich die Tatsache, dass ich die oben genannten lieben Menschen nach diesen fünf Jahren immer noch um mich herum habe. Dankbar bin ich für all derer Hilfe, fürs Dasein. Und Nina vor allem, dass sie all das mit mir durchgestanden hat. Geduldig und voller Liebe. Das ist nicht selbstverständlich. Nicht irgendwelche materiellen Dinge, sondern diese Menschen, meine Familie, sind das größte Geschenk im Leben.

Und stolz bin ich – auf mich. Darauf kann ich aufbauen für die nächsten Jahre. Die nächsten Herausforderungen warten schon. Leicht wird es auch in Zukunft nicht. Meine Depression ist immer noch da, nicht nur das, sie wird ein Teil meines restlichen Lebens bleiben. Beruflich bleibt es weiter zeitintensiv und herausfordernd, mit mehr Verantwortung. Mit Nina werde ich weiter an mich und uns arbeiten, es ist eben auch Beziehungs“arbeit“.

Aber ich habe heute etwas, was ich damals vor fünf-sechs Jahren nicht hatte.

Zuversicht und Neugierde auf alles, was kommt.

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